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notoperation

am rande jeglicher fragwürdigkeit: staatliche angstmache zur besten sendezeit. aus wirtschaft regional vom 29. november 2008

«Eine fantastische Choreographie»

Zahlreiche deutsche LGT-Kunden haben ihre Steuerflucht unter dem Druck der Steueraffäre womöglich zu früh gestanden. Ob die vom deutschen Geheimdienst gekauften Bankdaten gerichtlich überhaupt verwertbar sind, ist nach wie vor unklar.

Von Wolfgang Frey

Vaduz. – Live im Frühstücksfernsehen übertragene Razzien bei Topmanagern zählen in Deutschland nicht zum täglichen Prozedere der Strafverfolger. Für den deutschen Steuerrechtsexperten Jürgen Wessing war die Razzia in der Villa von Klaus Zumwinkel – des über seine liechtensteinische Stiftung gestürzten Exchefs der Deutschen Post AG – am 14. Februar folglich auch «keine Durchsuchung». Wessing spricht von einer «fantastischen Choreographie» der Strafverfolger: «Man hat auf diese Weise auf den Busch geklopft und versucht, möglichst viele Steuersünder darunter hervorzulocken.» Anders gesagt: Man hat Angst geschürt.

Lohn der Angst
Mit Erfolg: Aus Angst vor der Entdeckung haben sich zahlreiche deutsche LGT-Kunden bei den Finanzämtern strafmildernd selbst angezeigt und aus Angst, wie Zumwinkel öffentlich am Pranger zu stehen, haben sich viele auf Deals mit der Staatsanwaltschaft eingelassen: Statt medienwirksamer Prozesse gab es so stille Geständnisse und Vergleiche; statt langer Haftstrafen mehr oder weniger hohe Geldstrafen. Dem deutschen Fiskus spült all das Millionen in die Kassen. Ein Steuerfahnder prahlte diese Woche in der deutschen Illustrierten «Stern»: «Wir nennen das den ‹Zumwinkel-Effekt›».

Zweifelhafter Nebeneffekt: Die Frage, ob die vom Bundesnachrichtendienst (BND) gekauften und zuvor bei der LGT Treuhand gestohlenen Bankdaten, über die auch Zumwinkel stürzte, bei Prozessen überhaupt hätten verwendet dürfen, bleibt durch Selbstanzeigen und Deals ungeklärt. Die mutmasslichen Steuersünder verspielen die Chance, ihren Fall per Revision vor den Bundesgerichtshof (BGH) zu ziehen und dort womöglich gar einen Freispruch zu erkämpfen.

Der Steuerstrafverteidiger Franz Salditt wies neulich beim Deutschen Steuerberatertag auf die aussergewöhnliche Milde des ersten Urteils in der Steueraffäre hin: Für hinterzogene Steuern in Höhe von 8 Mio. Euro gab es für den Angeklagten am Ende eine Freiheitsstrafe von zwei Jahren – auf Bewährung. Erst kürzlich wurde zudem bekannt, dass die Bochumer Staatsanwaltschaft zehn Verfahren allein gegen Geldauflage eingestellt hat.

Milde Strafen als Köder
Salditts Verdacht: Mit dieser Milde sollen weitere Angeklagte geködert werden, sich auf einen Deal mit den Strafverfolgern einzulassen und im Gegenzug auf eine Überprüfung ihrer Urteile und damit auf die Zulässigkeit der auf zweifelhaftem Weg erlangten Beweise zu verzichten.

Der Steuerrechtsexperte Jürgen Wessing glaubt nicht, dass die vom BND gekauften Kundendaten gerichtlich verwertbar sind: «Nein», sagte er zu «Wirtschaft regional». Wenn Strafverfolger einen Verdacht hätten, sollten sie die Möglichkeiten der Rechtshilfe nutzen: «Das hat auch mit Souveränität und Völkerrecht zu tun.» Unter deutschen Juristen steht Wessing mit dieser Einschätzung nicht allein da – immerhin steht der Vorwurf der staatlich organisierten Hehlerei im Raum.

Wenn weitere der insgesamt rund 400 von der Staatsanwaltschaft Bochum eingeleiteten Verfahren mit Strafbefehlen oder Deals enden, schwindet die Chance auf eine Klärung durch den BGH. Dabei stehen die Deals, für die es im deutschen Recht keine Rechtsgrundlage gibt, ohnehin zunehmend in der Kritik.

Deals «ausgesprochen schädlich»
Der Bundesrichter Wolfgang Pfister erklärte kürzlich bei einer Tagung im süddeutschen Triberg, gerade bei den Verfahren der Steueräffäre sei es «ausgesprochen schädlich», wenn Prozesse ohne Urteil eingestellt und damit einer Prüfung im Revisionsverfahren entzogen würden. Grundsätzliche Rechtsfragen blieben so aussen vor, sagte er mit Blick auf die angekauften Kontodaten.

Der Steuerrechtsexperte Jürgen Wessing sieht das ähnlich. Für ihn zeigt das Vorgehen der Strafverfolger und der Justiz in der Steueraffäre mit den Mitteln Peitsche und Zuckerbrot bislang ein «schwaches Bild». Letztlich habe sich die Justiz «moralischer Hehlerei» bedient, um ihre Zwecke durchzusetzen.

 

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