Gericht kapituliert bei Inventur im nuklearen Supermarkt
Der Atomschmuggelprozess gegen den deutschen Ingenieur Gotthard Lerch aus Grabs ist zu Ende. Die Justiz hat versucht, Licht ins Dunkel zu bringen. Sehr erhellend war der Versuch nicht.
Von Wolfgang Frey, Stuttgart
Vier Jahre. So lange dauerte der Versuch der deutschen Justiz, herauszufinden, welche Rolle Gotthard Lerch beim Libyen-Deal der internationalen Atommafia um den Pakistani Abdul Quadeer Khan gespielt hat. Im weltgrössten je aufgedeckten Netzwerk, das gestohlene Technologie an jeden verschacherte, der genug bezahlte: auch an die iranischen Mullahs und die Kommunisten Nordkoreas.
Mohammed El Baradei, Chef der Internationalen Atomenergiebehörde (IAEO) nannte es einen «nuklearen Supermarkt». US-Präsident George W. Bush sprach von einem «extensiven Netzwerk», dessen «Geheimnisse» in «jahrelangen, hochriskanten Operationen» von Agenten des CIA und des britischen MI6 aufgedeckt worden seien. Vier Jahre später sagt ein Vertreter der obersten deutschen Anklagebehörde Sätze wie, es könne keine Rede «von einer Bande sein», stattdessen habe «jeder für sein Stück am Kuchen gekämpft», die Beteiligten hätten sich «gegenseitig übervorteilt».
Also nur ein lockerer Bund findiger Geschäftsleute, die, als das libysche Atombombenprogramm Ende 2003 aufflog und sie wenig später mit Namen in der Zeitung standen, sich nach dem Motto «Rette sich wer kann» gegenseitig verpfiffen? Selbst «wenn sie vielleicht befreundet waren», so wie im Fall von Lerch und dem ebenfalls in den Libyen-Deal verwickelten Gerhard Wisser, wie der Vorsitzende Richter Jürgen Niemeyer am Donnerstag im Stuttgarter Gerichtssaal bemerkte. Wissers Anwälte schicken im Winter 2007 noch aktenordnerweise belastendes Material ins Stuttgarter Gericht – Munition für die Anklage gegen Lerch. Das deutsche Ermittlungsverfahren gegen Wisser, heisst es unterdessen von der Bundesanwaltschaft, sei inzwischen «so gut wie eingestellt».
Tinner schwärzt Lerch an
Auch das Verhalten des Rheintalers Urs Tinner spricht nicht gerade für die Bandentheorie. Nicht nur, dass er sich vom CIA anwerben liess und anschliessend angeblich die für Libyen bestimmten Teile unbrauchbar machte, klingt nicht nach einem Maximum an Loyalität. Lerchs Anwalt Gottfried Reims erzählte, Tinner habe dem IAEO-Vize Olli Heinonen wenige Monate nach dem Auffliegen des libyschen Atomprogramms erzählt, Lerch habe Trainingskurse für libysche Techniker «arrangiert und organisiert». So stehe es in einem Vermerk der deutschen Bundesanwaltschaft vom 2. Juli 2004. Doch selbst Bundesanwalt Wolfgang Siegmund, der diesen Vorwurf vor wenigen Monaten bei der Eröffnung des Lerch-Prozesses noch aus der Anklageschrift verlesen hatte, räumte am Donnerstag ein: Der Vorwurf sei nicht aufrechtzuerhalten. Siegmund sprach von einer «Geheimdienst-Ente».
Keine «Bande» also, keine «Netzwerk», wie IAEO und Geheimdienste die Weltöffentlichkeit jahrelang Glauben machten? Nur eine Ansammlung von Leuten ohne Skrupel, die sich, als sie auffliegen, gegenseitig und fälschlich belasten? Sollten die Geheimdienste geirrt haben?
Lerchs Anwalt Reims hat da so seine eigene Theorie, eine «verdrehte», wie er selbst zugibt. Und die geht so: CIA und MI6 haben Ender der 90er-Jahre kein gutes Image, sie brauchen Erfolge. Libyen will nicht länger zu den Terrorstaaten gezählten werden. Aus beiden Interessen entsteht dieser Plan: Die Dienste schlagen Libyen vor, sich auf dem Schwarzmarkt eine Anlage zur Anreicherung von waffenfähigem Uran einzukaufen. Anschliessend würden die Dienste das Ganze öffentlichkeitswirksam und reputationsfördernd «aufdecken». Libyen würde im Gegenzug sein Atomprogramm aufgeben, der Weg zurück in die Gemeinschaft der «Guten» wäre geebnet. Ob das stimmt oder nicht: Im Grossen und Ganzen kam tatsächlich genau dieses Ergebnis heraus.
BND freut sich über Gaddafi
Und auch der deutsche Bundesnachrichtendienst (BND) habe wohl seine Finger in dem Spiel gehabt, vermutet Reims. Warum sonst wohl wäre ein Libyer 2005 auf einem Symposium des BND mit diesen Worten begrüsst worden: «Es ist mir eine grosse Freude und ein Privileg für mich, unseren nächsten Sprecher aus Libyen zu begrüssen, Saif al-Islam al-Gaddafi, den ältesten Sohn des Goldenen Führers von Libyen.» An dieser Stelle seines Plädoyers macht Reims eine lange Kunstpause. Dann zitiert er den libyschen Gastredner: «Zunächst möchte ich unseren Freunden von der deutschen Regierung für die freundliche Einladung danken und meinem Freund Dr. Hanning, obwohl er mich aus meinem Urlaub in der libyschen Wüste geholt hat.» August Hanning war damals Chef des BND.
Bislang hat jeder Prozess nach dem Auffliegen des Libyen-Deals, egal wo auf der Welt, mit einem Handel geendet, der vor allem den Mantel des Schweigens über alles deckte. Jeder involvierte Staat verfolge eigene Interessen und nicht unbedingt die Wahrheitsfindung, konstatierte Richter Niemeyer. Das zeigten unbeantwortete Rechtshilfeersuchen und die Aktenvernichtung in der Schweiz. Überall seien die Geheimdienste involviert. Die hätten zum Teil den ersten Zugriff auf wichtige Beweismittel gehabt, an die das Gericht bis zuletzt nicht herankam. Warum? Um das Bild des Netzwerks zu bewahren, das sie selbst entwarfen?
Am Ende des Prozesses, in dem Lerch im Zuge eines Handels mit der Anklage nur für das verurteilt werden konnte, was er selbst zugegeben hat und wohl nicht einmal mehr in Haft muss, bleibt diese Frage endgültig offen und vieles weitere im Dunkeln.
Niemeyer sagt noch, und es klingt fast etwas um Verständnis und um Mitleid heischend: «In diesem Fall ist die Justiz an ihre Grenzen gestossen.»
aus der liechtensteiner wirtschaftswochenzeitung "wirtschaft regional" vom 18. oktober 2008
Ein Urteil, das nach Freiheit riecht
Im Atomschmuggelprozess vor dem Oberlandesgericht Stuttgart ist der deutsche Ingenieur Gotthard Lerch aus Grabs gestern zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden. Ins Gefängnis muss er aber voraussichtlich nicht.
Von Wolfgang Frey, Stuttgart
In den 19 Prozesstagen vor dem Oberlandesgericht Stuttgart lief für die höchsten deutschen Ankläger nicht wirklich alles glatt. In der Anklageschrift hatte die Bundesanwaltschaft Lerch noch als skrupellosen Geschäftsmann dargestellt, der Libyen für einen Reingewinn von gut 27 Millionen Mark zur Atombombe verhelfen wollte: Als einen der Drahtzieher der internationalen und weltgrössten Atommafia um den Pakistani Abdul Quadeer Khan, der erst seinem Land mit gestohlenem europäischen Know-how die Atombombe verschafft und die Technologie anschliessend auch an Länder wie den Iran und Nordkorea weiterverkauft haben soll.
Doch gestern musste Bundesanwalt Wolfgang Siegmund in seinem Plädoyer einräumen: «Die Hauptverhandlung hat in einigen Punkten ein anderes Bild ergeben.»
Keine «Bande»
Von einem vielzitierten Netzwerk, von einer «Bande», könne nicht die Rede sein. Sicher, sagte Siegmund, der Verkauf von Nukleartechnik, im Fachjargon «Proliferation» genannt, sei von vielen betrieben worden: Von Khan selbst und seiner «rechten Hand», dem sri-lankischen Geschäftsmann Buhary Seyed Abu Tahir, die beide von Libyen den Auftrag zum Bau einer Anlage zur Anreicherung von waffenfähigem Uran erhielten. Von dem Deutschen Gerhard Wisser, seinem inzwischen verstorbenen Schweizer Chefingenieur Daniel Geiges und dem Südafrikaner Johann Meyer, die am Kap das Verrohrungssystem für die Anlage fertigten. Von der Rheintaler Ingenieursfamilie Tinner, die weitere Teile für Libyen in Malaysia produziert hat. Bis hin zu Lerch. «Sie alle haben finanziell profitiert», sagte Siegmund. Eine «Bandenabrede» habe dem aber nicht zugrunde gelegen. «Jeder hat für sich allein für sein Stück am Kuchen gekämpft, die Beteiligten haben sich gegenseitig übervorteilt.»
Skrupellosigkeit spricht Siegmund den Beteiligten damit nicht ab, wohl aber eine Art Hierarchie in dem Netzwerk, in der Lerch die Rolle eines Drahtzieher gehabt haben könnte: «Nicht nachgewiesen werden konnte», formulierte der Vorsitzende Richter Jürgen Niemeyer in der Urteilsbegründung an die Adresse von Lerch, «dass Sie Strippenzieher des Ganzen oder einer der Strippenzieher waren.»
Geständnis und Handel
Nachgewiesen werden konnte Lerch lediglich, dass er an der Herstellung des nach Überzeugung des Gerichts für Libyen bestimmten Rohrsystems in Südafrika beteiligt gewesen war. Und das auch nicht als eine Art Projektleiter, wie die Anklageschrift hatte vermuten lassen, sondern als technischer Berater, der von seinem alten Freund und Geschäftspartner Wisser um Hilfe gebeten wurde. So hat es Lerch jedenfalls vergangenen Donnerstag in seinem Geständnis formuliert, in dem Geständnis, das Teils eines Handels mit der Anklage war. Ebenfalls Teil dieses Handels ist eine Überweisung Lerchs von 3,5 Millionen Euro an die deutsche Staatskasse, auch dafür wurde ihm am Ende eine Haftstrafe von nicht mehr als sechs Jahren zugesichert.
«Ungewöhnlich schwierig»
Ihm aus eigener Kraft mehr nachzuweisen, vermochte das Gericht nicht. Niemeyer sprach von einem «ungewöhnlich schwierigen Verfahren» mit Tatorten, wichtigen Zeugen und Beweismitteln im Ausland. Rechtshilfeersuchen ans Ausland hätten zum Grossteil keinerlei Reaktionen nach sich gezogen. Die Hauptbelastungszeugen Tahir und Wisser waren nicht ins Stuttgarter Gericht zu bekommen, die Rheintaler Ingenieursfamilie Tinner, die ebenfalls in das Libyen-Geschäft verwickelt sein soll, verweigerte die Aussage.
Ausdrücklich lobte Niemeyer allerdings die Kooperation der Schweiz und auch jene von Liechtenstein. Letzteres sei zum Teil «Drehscheibe» für die finanzielle Abwicklung des Libyen-Deals gewesen.
Gefahr für den Weltfrieden
Am Ende blieb also wenig Gerichtsfestes übrig von den Vorwürfen der Anklage gegen Lerch, die ihm 15 Jahre Gefängnis hätten einbringen können. Dennoch blieb genug für eine Verurteilung: Niemeyer hielt fest, Lerch habe sich der «Förderung der Entwicklung von Atomwaffen» schuldig gemacht und dabei bedingt vorsätzlich gehandelt: Er habe damit rechnen müssen, dass durch sein Tun Waffen in ein Land gelangen könnten, dessen Status «problematisch bis katastrophal» gewesen sei. Bundesanwalt Siegmund sprach von der «Gefährdung des Weltfriedens» und einer «sehr schweren Straftat».
Strafmass exakt berechnet
Dafür lautete das Urteil gestern fünf Jahre und sechs Monate. Da Lerch bereits ein Jahr und neun Monate in Auslieferungs- und Untersuchungshaft verbracht hat und ihm wegen der langen Verfahrensdauer – verhaftet wurde er bereits 2004 – ein Jahr der Strafe als verbüsst angerechnet wird, hat er mit diesem Urteil bis dato rechnerisch exakt die Hälfte seiner Strafe bereits verbüsst.
Und genau dies ist der Zeitpunkt, an dem in Deutschland eine Haftstrafe frühestens zur Bewährung ausgesetzt werden kann. Der entsprechende Antrag der Verteidigung wird erwartet. Auf die Frage von Journalisten nach der gestrigen Verhandlung, ob Lerch nach diesem Urteil nun ins Gefängnis müsse oder nicht, sagte Bundesanwalt Siegmund, «es spricht einiges dafür, dass er das nicht muss.»
Von wegen vernichtet
Von den in der Schweiz vernichteten Ermittlungsakten im Fall der Rheintaler Ingenieursfamilie Tinner existieren Kopien in Deutschland.
Das bestätigte der deutsche Bundesanwalt Wolfgang Siegmund gestern am Rande des Prozesses
gegen Gotthard Lerch. Auf
die Frage, ob die Aktenvernichtung Einfluss auf das Lerch-Verfahren
gehabt habe, sagte er:
«Nein, ich gehe davon aus, die Beweismittel,
die dort geschreddert
wurden, liegen uns vor.» Schliesslich
habe die Schweiz im Fall
Lerch Rechtshilfe geleistet. Die
entsprechenden Akten sollten unter
den deutschen Gerichtsakten
in Stuttgart sein. (wfr)
für das "liechtensteiner vaterland" und den "werderberger und obertoggenburger" vom 17. oktober 2008
Absprache statt Aufklärung im Atomprozess
Nach seinem Deal mit der Anklage im Stuttgarter Atomschmuggelprozess kann der deutsche Ingenieur Gotthard Lerch aus Grabs auf eine kurze Haftstrafe spekulieren. Womöglich dauert sie nicht einmal anderthalb Jahre.
Von Wolfgang Frey und Martin Hähnlein
Jahrelang hat Gotthard Lerch geschwiegen. Jahrelang haben seine Anwälte dementiert und die Vorwürfe der Staatsanwälte als «haltlos» zurückgewiesen. Nein, hiess es stets seit Lerchs Verhaftung Ende 2004, der heute 65-Jährige habe das geheime und inzwischen aufgeflogene Atombombenprogramm des libyschen Diktators Muammar al Gaddafi nicht unterstützt. Am Donnerstag nun das überraschende Geständnis: Ja, erklärte Lerch, er habe die Produktion von Teilen für eine Urananreicherungsanlage unterstützt. Die internationale Atomenergiebehörde ist sicher, dass diese für Tripolis bestimmt waren.
Das überraschende Geständnis ist Teil eines Deals von Lerchs Verteidigern mit der obersten deutschen Anklagebehörde, der Bundesanwaltschaft, und den Richtern des Staatsschutzsenats. Letztere hätten in dem Verfahren je nach Beweislage eine Freiheitsstrafe von bis zu 15 Jahren verhängen können. Nun haben sich die Beteiligten im Gegenzug zum Geständnis auf maximal sechs Jahre geeinigt. Das Urteil wird voraussichtlich kommenden Donnerstag fallen. Doch selbst wenn es auf sechs Jahre lautet, was nach dem Deal zu erwarten ist, hat Lerch gute Chancen, nicht einmal eineinhalb davon absitzen zu müssen.
U-Haft wird angerechnet
Wer in Deutschland zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werde, sagt der Frankfurter Strafrechtsprofessor Cornelius Prittwitz, müsse in der Regel nur zwei Drittel davon tatsächlich absitzen. In Ausnahmefällen können die Anwälte eines Häftlings laut Prittwitz bereits nach der Hälfte der verhängten Strafe einen Antrag auf Aussetzung der Reststrafe stellen.
Im Fall Lerch wäre das bei einem Urteil von sechs Jahren Haft also frühestens nach drei Jahren. Lerch hat allerdings bereits einige Zeit im Gefängnis verbracht. Nach seiner Verhaftung im November 2004 sass er in der Schweiz. Ende Juni 2005 wurde er nach Deutschland ausgeliefert und sass dort bis August 2006 in Untersuchungshaft.
Mindestens 1:1
«Haftzeiten im Ausland werden in Deutschland in der Regel mindestens im Verhältnis 1:1 angerechnet», sagt Prittwitz. Bei Ländern mit besonders widrigen Haftbedingungen könne es auch schon mal die doppelte Zeit sein. Damit spricht viel dafür, dass Lerch die gesamte Zeit in der Auslieferungs- und Untersuchungshaft von insgesamt einem Jahr und neun Monaten angerechnet bekommt.
Lerch müsste dann nicht drei volle Jahre warten, um einen Antrag auf Aussetzung der Haft zu stellen. Wenn die bisherige Haftzeit angerechnet wird, könnte er das bereits nach einem Jahr und drei Monaten tun. Würde diesem Antrag stattgegeben, käme er also nach nicht einmal anderthalb Jahren wieder frei.
Umstrittene Deals
Deals wie jener zwischen Anklage und Verteidigung im Fall Lerch sind vor allem im angelsächsischen Rechtsraum Usus. Um langwierige Verfahren abzukürzen, einigen sich die Parteien dabei auf ein Geständnis gegen eine geringere Strafe. Drei von Lerchs mutmasslichen Komplizen in Südafrika entgingen so 2007 langen Gefängnisstrafen.
«Vor allem in untypischen Strafprozessen, in denen es nicht um Mord, Totschlag, Betrug oder Diebstahl geht, sind diese Absprachen inzwischen auch in Deutschland absolut üblich», so der Strafrechtler Prittwitz. Zu solchen Deals komme es vor allem in Wirtschaftsverfahren, wo es um Untreue und Korruption gehe. «Von der Wissenschaft wird dieses Vorgehen alledings teils heftig kritisiert, denn es ist völlig unstreitig, dass bei einem vorzeitigen Ende eines Verfahrens Dinge eben nicht so weit wie möglich erforscht werden und die Wahrheitsfindung leidet.»
Anklage zufrieden
Die Bundesanwaltschaft zeigte sich mit dem Ergebnis der Absprache im Fall Lerch sehr zufrieden. «Dieser Vorgang ist eine sinnvolle Verkürzung des Prozesses», erklärte Sprecher Frank Wallenta auf Anfrage. «Die Hauptverhandlung hätte keine längere Strafe ergeben als die nun zu erwartende.»
Von Wolfgang Frey
Stuttgart. – Hintergrund des Geständnisses ist ein Deal mit der Anklage. Um diese Absprache wurde gestern zwischen Bundesanwaltschaft und Verteidigung noch intensiv und bis zur letzten Minute gerungen. «Man hat lange miteinander gesprochen, noch bis kurz vor der Sitzung», sagte Gerichtssprecherin Josefine Köblitz dem «Liechtensteiner Vaterland».
Im Gegenzug zu Lerchs Geständnis stimmten die Ankläger der Bundesanwaltschaft zu, eine Haftstrafe von nicht mehr als sechs Jahren zu verlangen. Wegen der in der Anklageschrift aufgeführten mutmasslichen Verstösse Lerchs gegen das deutsche Kriegswaffenkontroll- und das Aussenwirtschaftsgesetz hätte er in dem Verfahren mit einer Gefängnisstrafe von bis zu 15 Jahren rechnen müssen.
Sensible Teile für Libyen
Als einer der massgeblichen Drahtzieher der internationalen Atommafia um den «Vater der pakistanischen Atombombe» Abdul Quadeer Khan soll Lerch laut Anklage Gerätschaften für das Ende 2003 aufgeflogene und kurz darauf gestoppte Kernwaffenprogramm des libyschen Diktators Muammar al Gaddafis organisiert haben. Lerch habe gestern gestanden, «die Herstellung von Teilen einer Gasultrazentrifugenanlage in Südafrika unterstützt zu haben», sagte Köblitz. Diese seien nach Feststellungen der Internationalen Atomenergiebehörde für Libyen bestimmt gewesen. Mit Gasultrazentrifugen lässt sich Uran so stark anreichern, dass es für Waffen verwendet werden kann. Auf diese Technik setzt derzeit unter anderem auch der Iran bei seinem umstrittenen Atomprogramm.
Dem Deal mit der Anklage haben die Richter des Strafsenats bereits zugestimmt. Das Urteil fällt voraussichtlich am kommenden Donnerstag. Für diesen Sitzungstag sind die Plädoyers der Bundesanwaltschaft und der Verteidigung vorgesehen. Das Urteil wird der Senat voraussichtlich noch am selben Tag sprechen.
Ebenfalls wegen ihrer Verwicklung in den nuklearen Lybien-Deal sind drei Mitglieder der Rheintaler Familie Tinner im Visier der Schweizer Ermittler. Zwei von ihnen, Urs und Marco Tinner, warten derzeit noch im Untersuchungsgefängnis auf ihren Prozess. Wegen ihrer bereits mehrjährigen Haftzeit spekulieren sie derzeit auf eine baldige Entlassung.
für das "liechtensteiner vaterland" und den "werderberger und obertoggenburger" vom 10. und 11. oktober 2008Ende einer alten Freundschaft
Im Stuttgarter Atomschmuggelprozess gerät Gotthard Lerch aus Grabs unter Druck: Die Anklage verfügt über neue Beweise. Sie stammen von Lerchs mutmaßlichem Komplizen Gerhard Wisser.
Von Wolfgang Frey, Stuttgart
Der Deutsche Gerhard Wisser (69) gilt als alter Freund und Geschäftspartner von Gotthard Lerch (65). In Südafrika, so die Anklage, habe er in Lerchs Auftrag die Produktion sensibler Teile für das Ende 2003 aufgeflogene Atombombenprogramm des libyschen Diktators Muammar al Gaddafi organisiert. Während des ersten Verfahrens gegen Lerch, das im Sommer 2006 vor dem Landgericht Mannheim scheiterte, hatte Wisser noch geschwiegen. Wisser befand sich damals selbst in den Mühlen der Justiz. Vor dem Obergericht in Pretoria hat er zwischenzeitlich jedoch ein umfassendes Geständnis abgelegt, um einer langen Gefängnisstrafe zu entgehen. Jetzt avanciert er zu einem der Hauptbelastungszeugen im Fall Lerch.
Brisante Aktenlieferung
Ob er selbst in Stuttgart aussagen wird, ist noch offen. Wissers Anwälte haben dem Gericht inzwischen jedoch zahlreiche Unterlagen zu Verfügung gestellt. Die jüngste Lieferung brachte Wissers Anwalt Eberhard Kempf am Freitagmorgen persönlich ins Gericht. Bundesanwalt Wolfgang Siegmund formulierte es so: Im Unterschied zum Verfahren in Mannheim habe man nun eine "veränderte Beweislage".
Das Material hat es in sich. Staatsanwalt Michael Greven verlas am Freitag eine 35 Punkte umfassende Liste, die offenbar auf Notizen, Reiseplänen und weiteren Unterlagen Wissers basiert. Darin ist von Treffen, Gesprächen und auch Streitereien zwischen Lerch, Wisser und anderen die Rede, darunter der "Vater der pakistanischen Atombome", Abdul Quadeer Khan, den die Ermittler für den Kopf des Atomschmuggelrings halten und der sri-lankische Geschäftsmann Buhary Seyed Abu Tahir, der als Khans rechte Hand gilt.
Dokumentiert hat die Anklage unter anderem ein Treffen von Khan und Lerch im Sommer 1999 in Dubai. Dabei sei der Bau von Komponenten für eine Anlage besprochen worden, die Libyen in die Lage versetzt hätte, waffenfähiges Uran anzureichern. Kurz darauf habe sich Lerch mit Wisser in Tahirs Appartment in Dubai getroffen, um über entsprechende Konstruktionszeichnungen zu sprechen.
Treffen am Zürichsee
Im Hotel Glärnisch Hof in Horgen am Zürichsee habe sich Lerch im darauf folgenden Oktober mit Wisser getroffen und erklärt, letztlich gehe es um ein ähnliches System, wie es Wisser 1987 nach Pakistan geliefert habe. Angeblich folgten weitere Treffen dort und in Dubai, bei denen Details und die Auftragsvergabe an Subunternehmer Wissers in Südafrika vereinbart wurden. Dabei sei auch besprochen worden, einen gefälschten Vertrag über die Produktion einer Wasseraufbereitungsanlage aufzusetzen, um den wahren Zweck der Gerätschaften zu verschleiern.
Streit gab es offenbar immer wieder um Geld. So habe Lerch Wisser bei einem Treffen im Dezember 2001 in Dubai gesagt, mit Kahn, dem "Gesamtberater für das Projekt", gebe es Schwierigkeiten wegen der Kosten. Auch Tahirs Zahlungsmoral ließ offenbar zu wünschen übrig: Einer von Wissers südafrikanischen Subunternehmern, so die Staatsanwaltschaft, habe immer wieder auf Geld gewartet. Im Dezember 2002 habe Lerch Tahir deswegen "heftig abgekanzelt".
Warnung am Telefon
Der letzte Punkt der 35-Punkte-Liste der Staatsanwaltschaft betrifft ein Telefongespräch zwischen Lerch und Wisser am 9. September 2003. Es enthielt eine Warnung. Lerch habe Wisser angerufen und erklärt, die Anlage sei in "Zuwiderhandlung gegen internationale Gesetze" hergestellt worden, sagte Staatsanwalt Greven. Wisser solle sie lieber "früher als später" verschrotten und auch die Unterlagen "vollständig" vernichten.
Das libysche Atombombenprogramm flog wenige Wochen später auf. Am 4. Oktober ließen der US-Geheimdienst CIA und der britische Mi6 das unter deutscher Flagge fahrende Schiff BBC China im Mittelmeer auf dem Weg von Dubai nach Tripoli stoppen. An Bord entdeckten sie mehrere Container mit Teilen für eine Urananreicherungsanlage.
Wer gab den Tipp?
Die Container stammten aus Malaysia. Dort soll der Schweizer Ingenieur Urs Tinner im Auftrag von Khan und Tahir die Produktion von weiteren Teilen für Libyen organisiert haben. Tinner werden Kontakte zum CIA nachgesagt. Mehrfach wurde spekuliert, er habe den Geheimdiensten den entscheidenden Tipp gegeben, der zum Stopp des Schiffes und damit zum Auffliegen des libyschen Atomprogramms führte.
Offen ist, woher Lerch seine Informationen hatte, wenn er Wisser tatsächlich bereits Wochen vor der Geheimdienstaktion gewarnt haben sollte. Obwohl sowohl Lerch als auch Tinner für Khans Atomschmuggelring gewirkt haben sollen, ist bislang keine Verbindung zwischen den beiden dokumentiert.
Lerch hat bislang jegliche Verwicklung in das libysche Atomprogramm bestritten. Am Freitag kommentierten weder er noch seine Verteidiger die neuen Informationen der Anklage. Lerchs Verteidiger kündigten jedoch eine Stellungnahme für einen der nächsten Prozesstage an. Das Verfahren wird am kommenden Donnerstag fortgesetzt.
aus der liechtensteiner wirtschaftswochenzeitung Wirtschaft regional vom 9. august 2008.
Treffpunkt Bahnhof Sargans
Über die dubiosen Kontakte des Liechtensteiner Treuhänders Mario S. kommt immer mehr ans Licht: In den USA wird er per Haftbefehl gesucht, weil er einem Milliardär beim Hinterziehen von Steuern geholfen haben soll. In Sargans SG fanden unterdessen offenbar Treffen mit einem Drahtzieher der internationalen Atommafia statt.
Von Wolfgang Frey und Martin Hähnlein, Stuttgart
Der Deutsche Gerhard Wisser (69) plante seine Europa-Reisen stets akribisch. Bereits Wochen vor den Abflügen vom Internationalen Flughafen Johannesburg in seiner Wahlheimat Südafrika organisierte er jeden Tag seiner Reisen ganz genau. Immer wieder plante er auch Abstecher nach Zürich ein. Von dort stand jeweils um 12.10 Uhr der Zug nach Sargans auf dem Programm, Ankunft dort 13.19 Uhr und dann "Abholung durch Mario S.".
So zitierte es der Vierte Strafsenat des Oberlandesgerichts Stuttgart am Donnerstag aus den Gerichtsakten im Fall Gotthard Lerch (65). Darin finden sich zahlreiche Vermerke über Wisser, unter anderem seine Reisepläne und -notizen.
Lerch, wie Wisser deutscher Staatsbürger, aber seit Mitte der achtziger Jahre in Grabs SG im Schweizer Rheintal ansässig, soll seinen alten Freund und Kollegen beauftragt haben, Teile für das Atomwaffenprogramm des libyschen Diktators Muammar al Gaddafi zu fertigen.
Während Wisser seine Verwicklung in den Libyen-Deal vor dem Obergericht in Pretoria im September 2007 bereits zugegeben hat, um einer Gefängnisstrafe zu entgehen, steht Lerch in Stuttgart noch vor Gericht. Wegen seiner mutmasslichen Unterstützung von Gaddafis Atombombenprogramms drohen ihm 15 Jahre Gefängnis.
Gerne würde der Stuttgarter Strafsenat Wisser persönlich als Zeugen vernehmen. Er könnte Lerch stark belasten. Doch hochrangige deutsche Ermittler gehen nicht davon aus, dass er nach Stuttgart kommen wird. Derweil behelfen sich die Richter ersatzweise mit Wissers Unterlagen, um etwa durch die Dokumentation von Treffen der beiden eine Verbindung im Fall des Libyen-Deals nachzuweisen.
Schon einmal tauchte der Name S. im Lerch-Prozess auf: als sein "Vermögensverwalter", wie ihn die Ermittler nennen. Offenbar hat er aber nicht nur mit Lerch Geschäfte gemacht: Wissers Reisepläne listen allein für die Jahre 2002 und 2003, als die Produktion für das Ende 2003 aufgeflogene libysche Atomprogramm in der heissen Phase gewesen sein muss, sieben geplante Treffen mit Mario S. (43) auf.
Zum Beispiel am 8. April 2003. Ankunft "Hauptbahnhof Sargans", "Abholung durch M. S.l", einchecken im nahe gelegenen Hotel Schlosswald im liechtensteinischen Triesen, "am Nachmittag Gespräch mit S. und G. Lerch." Um was es dabei ging, darüber geben die im Gericht verlesenen Unterlagen keinen Aufschluss.
Die US-Nachrichtenagentur "Bloomberg" berichtete neulich, S. habe deutschen Ermittlern bei einer Vernehmung 2005 in Vaduz gesagt, er habe nicht nur für Lerch, sondern auch für Wisser Geld verwaltet. Die im Stuttgarter Gericht in dieser Woche verlesenen Terminpläne Wissers bestätigen diese Darstellung.
S. hatte offenbar weit reichende Kompetenzen. So soll er Vollmachten über die Konten der Stiftung United Property Foundation gehabt haben, die die Ermittler Lerch zurechnen. Wisser bat S. in einem Fall per Fax, das vom Gericht verlesen wurde, aus dem Stiftungsvermögen einen sechsstelligen Betrag auf Lerchs Konto zu überweisen.
Lerch streitet bislang alle Vorwürfe ab, seine Verteidiger zweifeln Wissers Reisenotizen an. S. wollte die Angelegenheit nicht kommentieren und verwies darauf, dass es sich um ein laufendes Verfahren handele. Im Übrigen, sagte er dieser Zeitung, "sehe ich das alles ganz gelassen".
Neue Bank taucht erneut auf
Wie der Treuhänder Mario S. taucht auch die Liechtensteiner Neue Bank sowohl im Umfeld der US-Ermittlungen wegen Steuerhinterziehung auf als auch im Dunstkreis des Atomschmuggelfalls auf. Wie aus einer Rechnung der südafrikanischen Firma Tradefin vom 13. Dezember 2002 hervorgeht, die am Donnerstag ebenfalls im Stuttgarter Gericht zitiert wurde, sollten für Leistungen offenbar im Zusammenhang mit Lieferungen an Libyen 855.000 Schweizer Franken auf ein Konto bei der Neuen Bank in Vaduz überwiesen werden. Als erbrachte Leistung vermerkt das Dokument "Planungsdienste" und "Entwicklungsarbeiten" für eine Wasseraufbereitungsanlage.
Um den Endabnehmer der fraglichen Teile für die libysche Urananreicherungsanlage zu verschleiern, so halten es die deutschen Ermittler in ihrer Klageschrift gegen Lerch fest, seien auf Vorschlag Libyens "Vertragsdokumente über die fiktive Lieferung einer Wasseraufbereitungsanlage nach Jordanien" aufgesetzt worden. Die Firma Tradefin wird dem Südafrikaner Johan Meyer zugerechnet. Diese, so die Ermittler, habe als Wissers Subunternehmer ebenfalls Teile für das libysche Atomprogramm produziert.
Im US-Steuerhinterziehungsfall, bei dem S. einem US-Milliardär behilflich gewesen sein soll, 200 Millionen Dollar vor der Steuerbehörde zu verstecken, sollen Gelder ebenfalls über Konten der Neuen Bank gelaufen sein. Das Liechtensteiner Institut hatte einen Kommentar dazu erst kürzlich abgelehnt. Zu den in Stuttgart verlesenen Dokumenten wollte sie sich ebenfalls nicht äussern.
aus der liechtensteiner wirtschaftswochenzeitung "wirtschaft regional" vom 2. august 2008.
Anmoderation: Vier Männer aus dem Schweizer Rheintal müssen sich demnächst wegen Atomschmuggel-Vorwürfen vor Gericht verantworten. Der Deutsche aus Grabs und die drei Schweizer aus Haag sollen zur internationalen Atommafia um den Pakistani Abdul Quadeer Khan gehören, die Libyen, Iran und Nordkorea mit sensibler Nukleartechnik versorgt hat. Die Atommafia flog Ende 2003 auf, als der US-Auslandsgeheimdienst CIA das libysche Atomwaffenprogramm aufdeckte. In die Lieferungen von Urananreicherungstechnik nach Libyen sollen auch die vier Männer aus dem Rheintal verwickelt gewesen sein. Doch die juristische Aufarbeitung gestaltete sich in den vergangenen drei Jahren äußerst schwierig. Jetzt kommt Bewegung in die Verfahren gegen die vier mutmaßlichen Atomschmuggler aus Haag und Grabs. Ihre Prozesse sollen 2007 und 2008 starten. Wolfgang Frey berichtet.
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