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vom eigenen bruder blutig gestochen. schwulenhass auf palästinensisch. aus mate, frühjahr 2004

schwulenhass

schaulenhass in palästina

Auf der Flucht

Von der lebensgefährlichen Liebe zweier Palästinenser

In einem Park von Tel Aviv haben zwei Palästinenser am Morgen ihr Fluchtgepäck versteckt. Achmed und Yussef* haben nur eine kleine Tasche mitgenommen. Die zwei Freunde haben in ihrem Dorf im Osten Jerusalems fast alles zurückgelassen, bis auf Waschzeug, ein paar T-Shirts, die Angst und die Erinnerung an den Mordversuch.

Die Gewissheit, dass ihre Liebe lebensgefährlich ist, zieht sich zweifingerbreit von Achmeds Brust im Zickzack bis hinunter zu seinem Gürtel. Achmed zieht sein T-Shirt schnell wieder herunter, um die rote Narbe zu verdecken. "Das war mein Bruder."

Achmed sieht aus, als habe er seit drei Tagen kein Auge zu getan. Er ist seit drei Tagen mit Yussef auf der Flucht. Achmed wirkt so nervös, als könne er ein Valium vertragen. Er ist 32 und er hält seine Hände immer irgendwo fest, damit sie nicht anfangen zu zittern. Yussef nimmt seine Hand."Mir hat er mit dem Messer in die Eier gestochen." Er versucht ein Grinsen, das ist seine Art, die Angst zu überspielen, und sagt: "Aber es ist zum Glück alles wieder in Ordnung."

In Ordnung war von Anfang an nichts. Achmed und Yussef sind seit zwei Jahren zusammen. In ihrem kleinen Dorf im Osten Jerusalems heißt das: Treffen auf der Straße, im Park, telefonieren und Angst vor dem Auffliegen. Die erste Zeit ging alles gut.

Yussef ist kein schüchterner Typ. Eher ein Draufgänger, der immer ein schelmisches Grinsen und einen dummen Spruch parat hat. Achmed hat ihm damals die Sprache verschlagen. "Ich war in Jerusalem spazieren, im Park vom König David-Hotel", erzählt Yussef. "Da saß er auf einer Bank. Ich hab' ihm in die Augen geschaut und es gewusst." Achmed sieht zu Yussef hinüber und nickt. "Achmed sagte, ich sei 'süß'", sagt Yussef. "Aber ich wusste auf einmal nicht, was ich machen sollte, also bin ich einfach schnell weiter gegangen."

Yussef wusste, dass er Achmed schon mal irgendwo gesehen gesehen hatte. Er erinnerte sich, dass der Mann seiner Schwester ihn kannte. Er ging zu ihm und fragte ihn, ob er die beiden nicht bekannt machen könnte. Yussef grinst, als er davon erzählt.

Achmed lächelt zum ersten Mal. "Als wir uns dann mal alleine trafen, sagte Yussef zu mir, 'wenn du mit mir zusammen sein willst, dann aber nur mit mir'." Bevor sie das erste Mal Sex hatten, erzählen die zwei, haben sie drei Monate lang nur telefoniert und sich getroffen, um zu reden. "Wenn wir uns nach einem Streit mal zwei Tage nicht sehen, werde ich verrückt", sagt Achmed.

Achmed hatte es nicht mitbekommen. Wie so oft hatte er Yussef angerufen. Diesmal lauschte sein Bruder. Er schlug nicht sofort zu. Achmed traf sich wie verabredet mit Yussef. Sie gingen spazieren. Auf einmal stand Achmeds Bruder mit einem Messer in der Hand vor ihnen auf der Straße.

"Erst ging er auf Yussef los, und als ich ihm zu Hilfe kam, auf mich", sagt Achmed. Zufällig kamen Freunde der beiden vorbei. Sie schlugen den Bruder samt seinem blutigen Messer in die Flucht und brachten die zwei ins Hospital.

Achmed traute sich nicht mehr nach Hause. Dann ließ ihm seine Familie ausrichten, er solle zurückkommen und die Männer lassen. Doch wenn er die Polizei einschalte - in diesem Dorf im Westjordanland haben die israelischen Sicherheitskräfte das Sagen, die im Gegensatz zu ihren palästinensischen Kollegen keine Jagd auf Schwule machen - "dann, sagten sie, würden sie meine Frau und meine vier Kinder aus dem Haus werfen." Achmed ging zurück.

Achmed weiß, dass sein Leben verpfuscht ist. Er hat dem Druck seiner Familie nicht standgehalten. Seit er mit Yussef geflohen ist, macht er sich fast ständig Sorgen um die Frau, die er nie heiraten wollte, seine zwei Buben und die zwei Mädchen, die er nie zeugen wollte. "Ich habe irgendwie immer gemacht, was ich sollte", sagt Achmed und schaut zu Boden. "Ich habe versucht, es so lange wie möglich hinauszuschieben, aber dann war ich 23 und meine Familie, na ja, alle meine Brüder hatten in dem Alter schon Kinder."

Achmed und Yussef wissen, dass es absurd klingt und es ist ihnen anzusehen. Sie haben inmitten des Schwulenhasses der palästinensischen Gesellschaft und trotz ihres Versteckspiels ein Stück Normalität geprobt, bevor sie aufflogen. "Ich habe meine Familie zu Yussef nach Hause mitgebracht", erzählt Achmed. Die Kinder haben zusammen gespielt. "Ich habe gesagt, Achmed ist nur ein Freund", sagt Yussef.

Yussef weiß nicht, was seine Familie denkt. Yussef  ist erst 20, aber er kann sich aber schon nicht mehr daran erinnern, wie oft er von zu Hause weggelaufen ist. Im Unterschied zu Achmed hat er sich "nie darum geschert, was die wollten". Und jetzt, fügt er mit einem lausbübischen Grinsen hinzu, "lassen sie mich machen." Wahrscheinlich, sagt er, ahnt seine Familie, dass er schwul ist, "aber sie sprechen nicht darüber".

Achmeds Familie machte schnell klar und sehr deutlich, was Sache ist. "Als ich zurückkam, sagten sie jeden Tag, 'geh' nicht dahin', 'geh' nicht dorthin', sie nahmen mir meinen Lohn ab, ich musste jeden meiner Schritte rechtfertigen," sagt Achmed und krampft seinen gedrungenen Körper noch fester zusammen. "Ich fühlte mich wie stranguliert."

Vor drei Tagen, erzählt Yussef, "sagte Achmed zu mir, dass er das nicht mehr aushält, dass er weg will, das wir nach Israel gehen könnten, weil wir da sicherer sind." Achmed sagt: "Er hat mich in den Arm genommen und gesagt, 'ich liebe dich und ich komme mit Dir'."

Die beiden schweigen. "Ich weiß, dass sich meine Mutter Sorgen macht", sagt Achmed nach einer Weile. "Aber zurückzugehen, das wäre die Hölle." Er steht auf und geht ein Stück weg, damit niemand seine Tränen sieht. Yussef bleibt, er fummelt die ganze Zeit schon so oft mit den Fingern an seinen Augen rum, dass eine Träne ohnehin keine Chance hätte herauszulaufen.

Yussef sagt, "und jetzt sind wir hier in Tel Aviv und wissen nicht weiter." Die beiden wissen, dass die israelische Polizei niemanden verhaftet, weil er schwul ist. Sie könnten sich in Tel Aviv selbst auf der Straße küssen, ohne dass ihnen etwas passiert.

Sie wissen auch, dass sie keine Aufenthaltsgenehmigung haben, keine bekommen können und die Polizei seit dem Beginn der Selbstmordattentate der zweiten Intifada keine illegalen Palästinenser im Land duldet. Wenn sie erwischt werden, droht ihnen die Zurückschiebung. Die umliegenden arabischen Staaten dulden keine Schwulen, ein Flugticket können sie nicht kaufen, sie sitzen zwischen allen Stühlen, sie sitzen in der Falle, sie sitzen fest in einer Freiheit, die für sie nicht gilt.

Achmed kommt zurück. Er hat seine Tränen getrocknet."Wir wollen doch nicht viel", sagt Yussef. "Wenn uns jemand hilft, finden wir vielleicht einen Job und ein kleine Wohnung, einfach einen Platz, um in Frieden zusammen zu Leben", sagt Achmed. "Ja", sagt er dann, "ich habe schon noch Hoffnung, dass das klappt." Er hat Tränen in den Augen. Yussef nimmt seine Hand.

Wenn es dunkel wird, werden Achmed und Yussef ihre kleine Tasche aus dem Gebüsch kramen und irgendwo am Strand oder in einem Park übernachten, wie in den letzten drei Nächten. Am Morgen wird Achmed ein frisches T-Shirt anziehen, um Narben zu verdecken, die sich nicht verdecken lassen.

*Namen geändert

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