associated press +++ bbc +++ ddp nachrichtenagentur +++ der spiegel +++ neue zürcher zeitung +++ mate frankfurter rundschau +++ offenbach-post +++ liechtensteiner vaterland +++ hanauer anzeiger +++
the new yorker +++ kirchenbote st. gallen +++ blickpunkt +++ fpc-magazin +++ medium-magazin
journalist +++ nachrichten parität +++ up! szeneguide +++ ffh +++ bgb infom@il +++
linie
linie
leseprobegesellschaft

körperkult und sinnfrage. st. galler kirchenbote 7/2008

koerperkult kirchenbote st. gallen schweiz

Einzigartig schön.
Von der Flüchtigkeit unerreichbarer Ideale

Jeder Mensch ist einzigartig. Gerade darin könnte der grösste Reiz liegen. Doch der Zeitgeist verträgt diese natürliche Vielfalt schlecht. Er verlangt nach wohlgeformten Körpern und idealen Massen. Zum Glück ist der Zeitgeist nur eine Modeerscheinung.

Als Sean Connery in den sechziger Jahren in James-Bond-Filmen eine Schönheit nach der anderen bezirzte, charmant umgarnte und diskret an seine attraktiv behaarte Brust zog, hätte sich niemand gewagt, ihm eine Rasur oder eine Laserbehandlung zu empfehlen. Haare auf der Brust galten als Zeichen der Männlichkeit. Heute ist rund um die Enthaarung des Männerkörpers eine ganze Industrie entstanden, zum Enthaarungsstudio sind es in der Grossstadt meist nur ein paar Schritte und die behaarte Brust ist aus den Hochglanzmagazinen längst verschwunden.

Unterhalb der glatten Brust verordnet der Zeitgeist dem attraktiven Mann von heute den Waschbrettbauch, den sogenannten Sixpack. Sean Connery kam noch ohne aus. Doch im 21. Jahrhundert stehen die Bauchmuskelmaschinen in den Fitnessstudios nicht mehr still und für den männlichen Körperkult eigens lancierte Zeitschriften wie «Men’s Health» sind voll von immer neuen Tricks und Tipps. Aber die klappen nicht bei allen: «Ich mache jeden Tag dreissig Rumpfbeugen, dass ich einen geileren Body bekomme», schreibt ein Sechzehnjähriger mit dem Pseudonym «goodness» im Internet-Jugendportal «tschau.ch». So gern hätte er diesen Sixpack, «aber irgendwie», schreibt er, «nützt das Training gar nichts».

Milliardengeschäft
Einem Ideal zu entsprechen, an dem eine ganze Industrie Jahr für Jahr Millionen und Milliarden verdient, ist nicht leicht. Vor allem dann nicht, wenn das Ideal gar nicht erreichbar ist. «Eine gute Körperform oder das, was der Zeitgeist gerade dafür hält, lässt sich häufig nicht erzwingen», sagt der pensionierte Mediziner Felix Oberholzer aus Berneck im St.Galler Rheintal. «Schauen wir nur einmal bei den Boxern, da gibt es nicht umsonst die verschiedenen Gewichtsklassen: Die Fliegengewichtler sind die schlanken, sehnigen Leute, die Schwergewichte sind die athletischen und muskelbepackten.» Und die Entscheidung, wer in welcher Klasse boxe, sagt Oberholzer, sei nicht zuletzt eine der Natur: «Ein Teil des menschlichen Erscheinungsbilds ist einfach genetisch bedingt, es ist nicht alles durch Sport oder Training regulierbar.» Einem typischen Fliegengewichtler, sagt Oberholzer, werde es selbst mit Anabolika nicht gelingen, ein athletischer Muskelprotz zu werden, «ebenso wenig, wie es dem athletischen Typ gelingt, ein drahtiger, sehniger und schlanker Typ zu sein».

Schönheitsberieselung
Dabei läge gerade das im Trend. Vor allem Frauen haben mit dem Schlankheitsideal zu kämpfen. In Zeiten, in denen die US-Modeindustrie bereits die Grösse «00» erfunden hat, um den dürren Superschlanken den Weg in die Kinderabteilung zu ersparen, und die Frauenzeitschriften in jeder Ausgabe ein neues Diät-Kapitel aufschlagen, wären viele gerne auch einfach so wie die vielen schönen Schlanken auf den Titelseiten.

«Im Fernsehen und in den Zeitschriften werden wir ja von morgens bis abends berieselt mit den schönsten Leuten der Welt», sagt Martina Gadient, Psychologin und Stellenleiterin der Sozialen Dienste Sarganserland. «Sehr magere Stars und Sternchen wie Britney Spears oder Paris Hilton gelten als die Schönsten auf der Welt – das setzt die Jugendlichen schon unter Druck und das ist ein Problem.»

Im Extremfall geht es denen, die ihren Stars nacheifern, wie ihren Idolen: In Brasilien starb ein erfolgreiches Model den Hungertod. Um den Idealen der Modeindustrie zu genügen, ass sie so wenig, dass sie am Ende so geschwächt war, dass sie eine an sich harmlose Krankheit dahinraffte. Als die 1,74 Meter grosse, magersüchtige Ana Carolina Reston Macan starb, wog sie 40 Kilogramm.

Dem Schlankheits- und Schönheitswahn zu widerstehen, sagt Martina Gadient, sei gerade für Jugendliche, die sich erst noch selbst finden möchten, eine «happige Aufgabe». Ein «normaler, gesunder Jugendlicher» verkrafte das tipptopp, wer dagegen schwächer sei, laufe Gefahr, sich den Idealen auf Kosten seiner Gesundheit auszuliefern. «Es sind sicher nicht die Medien allein, es sind auch gesellschaftliche Werte», sagt Martina Gadient. Für «Anderssein» gebe es nur wenig Toleranz: «Man darf kein schräger Vogel sein.» Diese «gesellschaftliche Realität» erzeuge einen «grossen Druck».

Felix Oberholzer nennt ein Beispiel: «Im Geschäftsleben ist es heute doch schon so, dass der Schlanke, Sportliche als durchsetzungsfähig, angenehm und erfolgreich gilt, der Übergewichtige dagegen als eher unzuverlässig und undiszipliniert.» Doch das sieht nur so aus, in einer Welt, in der sich so viel ums Aussehen dreht. Früher galten Dicke einmal als gemütlich und Dünne als nervös.

Markenzeichen
Er glaube, sagt Oberholzer, dass jeder seine eigene Identität habe, und zu der gehöre eben auch sein Erscheinungsbild. Wer das mit Gewalt ändern wolle, etwa indem er sich die vermeintlich zu grosse Nase operieren lasse, verliere damit manchmal auch ein Stück seiner Identität, sein «Markenzeichen». Kurzum, ein Stück seiner Einzigartigkeit.

«Schönheitsideale sind eben auch eine Zeiterscheinung», sagt Oberholzer. «Zu anderen Zeiten hat man einmal Rubens-Frauen schön gefunden.» Wolfgang Frey, St.Gallen

zurück zum
überblick
<<<